Impuls 2022-12 Der Starke sucht Schutz beim Schwachen

Gabriele Stöckl

„Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. 
Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie.
(Jesaja 11, 6) 

Das klingt schön, der starke, wendige Wolf – ein Raubtier, wie so manchen Bauern immer wieder nur allzu deutlich vor Augen geführt wird – sucht Schutz beim Lamm! 

Lämmer sind gewöhnlich die Beute des Wolfs und ein Panther liegt gewöhnlich wohl auch nicht ruhig neben einem Böcklein. Ebenso wenig werden Kalb und Löwe friedlich nebeneinander weiden. Aber dieses Bild, das Jesaja hier zeichnet, ist schön, findet ihr nicht auch, liebe Schwestern und Brüder?

Der Starke sucht Schutz beim Schwachen. Oder besser gesagt, der vermeintlich Starke sucht Schutz beim vermeintlich Schwachen. Auf uns übertragen, wird also dem Starken bewusst, dass Stärke in Form von körperlicher Kraft, wirtschaftlicher Macht oder großem Einflusspotential, ja sogar Macht über Leben und Tod nicht alles ist, was ein Mensch braucht, was zählt und wertvoll ist im Leben. Geht es doch vielmehr darum, dass wir in all unserer Unterschiedlichkeit, mit all den oft so ungleich verteilten Gaben und Begabungen gleichberechtigt  nebeneinander und miteinander leben können. Es geht meiner Meinung nach nicht um Dulden und Tolerieren der vermeintlich weniger Begabten, sondern um Gleichberechtigung und Erkennen von Gaben und Wert des Gegenübers.

Der Wolf fühlt sich wohl und sicher in der Gegenwart des Lammes. Es hat wohl eine „positive Ausstrahlung“, ist ihm gegenüber empathisch und liebevoll, auch wenn ihm das vielleicht gar nicht bewusst ist, weil es vielleicht nicht so gut reflektieren kann. Auch Panther und Löwe haben erkannt, dass es schön ist in der Gegenwart von Böcklein und Kalb.

Und geht es nicht darum, dass wir uns miteinander (mit Familie, Freund:innen, Kolleg:innen) und nebeneinander (mit Nachbarn, der Friseurin, dem Mechaniker etc.) wohlfühlen? Dass wir uns gegenseitig Aufmerksamkeit, Verständnis und Wärme geben, in all unserer Unterschiedlichkeit, mit all den so unterschiedlich, manchmal fast ungerecht verteilten Gaben, die wir mitbekommen haben?

Durch meine Erkenntnis und mein Bemühen um ein gutes Miteinander mit meinen Mitmenschen werde ich den Ukraine-Krieg nicht beenden, das Klima nicht retten können.

Ich kann ja nur im Kleinen etwas bewirken, in meinem Umfeld! Ich will für die vermeintlich Starken und die vermeintlich Schwachen ein Ort sein, an dem sie sich wohlfühlen können. Und ich will mich selbst in der Gegenwart solcher Wohlfühl-Menschen aufhalten. Und das ist mit Sicherheit im Sinne unseres Herrn Jesus, dessen Geburt wir ja bald feiern dürfen!

Ich wünsche euch allen eine schöne Adventzeit und ein gesegnetes Weihnachtsfest in der Begegnung mit möglichst vielen Wohlfühl-Menschen!

Eure Gabi